Wie funktioniert zwischenmenschliche Kommunikation in Pandemiezeiten?

Die Corona-Pandemie verändert das Geschäftsleben radikal. Viele Unternehmen, welche die Möglichkeit hatten, die Belegschaft ins Homeoffice zu schicken, nutzten diese Option.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die geschäftliche Kommunikation in Pandemiezeiten habe ich mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, Clemens Graf von Hoyos, gesprochen.

Veränderte Rahmenbedingungen

Auch in Zukunft wollen sich die Dax-Konzerne flexibel aufstellen und ihren Mitarbeitern, sofern es die Tätigkeit zulässt, hybride Arbeitskonzepte anbieten. Aus aktueller Sicht ist davon auszugehen, dass die Arbeitswelt, wie wir sie vor der Corona-Pandemie kannten, nicht mehr zurückkehren wird. Eine neue Epoche ist angebrochen, die Zeit der Home- und Mobile Office Arbeitswelt.

Durch die Nutzung neuer Kommunikationskanäle verändert sich auch das zwischenmenschliche Miteinander. Gespräche und Meetings finden kaum bis gar nicht mehr in Form von physischer Anwesenheit statt, sondern virtuell bzw. digital. Diese Art des Zusammenkommens erfordert eine neue Herangehensweise zwischen Kollegen und Geschäftspartnern. Die Herausforderung ist, über den digitalen Weg eine bestehende Verbindung aufrechtzuerhalten oder eine geschäftliche Beziehung neu aufzubauen. Der Begriff Knigge wird dabei oft mit einer Benimm-Odyssee in Verbindung gebracht. Knigge selbst waren seinerzeit festgefahrene Benimmregeln nicht von Bedeutung, vielmehr ging es ihm darum, Menschen sozial und geistig aufzuklären.

Herr Hoyos, die zwischenmenschliche Kommunikation hat einen Wandel erfahren, der uns vor neue Aufgaben stellt. Wir sind digitaler geworden und schauen uns kaum mehr in die Augen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für das Geschäfts- und Arbeitsleben?

Es ist schwieriger geworden, persönlich zu überzeugen und herauszufinden, ob die Chemie zwischen den Menschen stimmt, da Begegnungen schon jetzt überwiegend digital stattfinden. Es fehlen essenzielle Informationen über Gestik, Mimik und Stimme, aber auch der Geruch.

Die Bildqualität bei Videokonferenzen ist nicht immer gleichbleibend, der Körper vom Gegenüber wird nur eingeschränkt wahrgenommen. Auch ist die Tonqualität nicht immer einwandfrei, weil z.B. die Verbindung unterbrochen wird. Der Geruch ist ein essenzielles Mittel, welches unbewusst wahrgenommen wird und darüber entscheidet, ob wir jemanden sympathisch finden oder nicht. Nicht umsonst heißt es: Den kann ich gut bzw. nicht gut riechen.

Gleichzeitig ist die arbeitende Bevölkerung womöglich insgesamt entspannter. Menschen müssen nicht mehr pendeln und machen weniger Geschäftsreisen. Dadurch fällt ein großer Stressfaktor weg. Dies wird sehr wahrscheinlich der Qualität der Arbeit zugutekommen.

Allerdings ist es gerade im Homeoffice meines Erachtens empfehlenswert, wenn penibel darauf geachtet wird, dass sich das Berufsleben – vor allem nach dem Feierabend – nicht mit dem Privatleben vermischt. Wo möglich, sollte eine räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Räumen zur Entspannung gewährleistet sein.

Im Laufe unseres Lebens haben wir gewisse Verhaltensweisen gelernt, die wir – bezogen auf unser Berufsleben – durch den tagtäglichen Einsatz gefestigt haben. Welche Eigenschaften sollten wir im Umgang mit Kollegen und Geschäftspartnern im digitalen Zeitalter besonders im Auge behalten, um untereinander Vertrauen zu halten oder neu aufzubauen?

Beim Vertrauen spricht man vom Know, Like and Trust Factor. Also Kennen, Mögen Vertrauen. Einen regelmäßigen Kontakt, wie er z.B. auch in der Kaffeeküche stattfindet, halte ich für wichtig. Digitale Team-Lunchs oder -Dinner in regelmäßigen Abständen sind sinnvoll, da man hier die Zeit findet, auch das eine oder andere privatere Thema zu besprechen. So lernt man sich besser kennen und findet sympathische Züge an seinen Gesprächspartnern.

Bei Videokonferenzen spricht man auch vom Check-in. Man findet sich – wie in der analogen Berufswelt auch – fünf Minuten eher ein und tauscht sich im lockeren Small Talk aus. Außerdem kann man sich so einen Eindruck von der Grundstimmung verschaffen, was dabei hilft, sich im folgenden Austausch besser aufeinander einzustellen. In einem rein sachlich geführten Business Talk ist das kaum möglich.

Tandems sind eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zu halten. Bevor jeder für sich selbst in seinem Kämmerchen vor sich hinarbeitet, trifft man sich zur Tandemarbeitszeit in einem digitalen Raum. Ähnlich wie in einem Büro kann man schweigend vor sich hinarbeiten, sich allerdings zwischendurch auch austauschen. Diese Sessions können 30 Minuten oder auch länger dauern. Es kann eine Option sein, Teamarbeit zu fördern und schnellere Ergebnisse zu erzielen, weil eine spätere Abstimmung beispielsweise wegfällt.

Die soziale Umwelt oder anders ausgedrückt, die gesellschaftliche Beziehung hat sich insgesamt verändert. Welche Unterschiede gibt es in der persönlichen Kommunikation zur Videotelefonie?

Die Informationsdichte, die in der persönlichen Kommunikation unbewusst wahrgenommen wird, ist wesentlich höher als die in der digitalen Kommunikation, weil man den Menschen ganzheitlich und mit allen Sinneseindrücken wahrnehmen kann. Die Ausgabe- und Übertragungsqualität in Videokonferenzen reduziert diese Informationsdichte drastisch.

Minimale Verzögerungen und der Qualitätsverlust in der Bild- und Tonübertragung wirken unnatürlich. Ohne böse Absicht fällt man dem anderen ins Wort, wenn der Ton stockt. Sobald das Bild des Gesprächspartners einfriert, verlieren wir selbst an Körperspannung, da wir uns fälschlicherweise unbeobachtet fühlen.

Eine weitere Herausforderung ist, dass wir uns ohnehin viel zu häufig – alleine vor dem Laptop sitzend – unbeobachtet fühlen. Damit ist die Hemmschwelle niedriger, nebenbei andere Dinge zu tun wie beispielsweise E-Mails checken oder auf das Handy zu schauen.

Ungeachtet aller Defizite ist es ausgesprochen erfreulich und positiv zu bewerten, dass durch die technischen Möglichkeiten eine ortsungebundene Zusammenarbeit immer besser gelingt und sich auch weiterentwickeln wird.

Welche Empfehlungen haben Sie an Mitarbeiter, ihre Kunden und generell an die Gesellschaft, um das Miteinander in der digitalen Welt zu pflegen?

Auch wenn gerade Sparkurs angesagt ist, sind kleine Gesten der Aufmerksamkeit nach wie vor das beste Mittel, um Beziehungen zu pflegen. Von einem kurzen Anruf, in dem man sich nach dem Wohlergehen und den Herausforderungen erkundigt, über eine handgeschriebene Karte, eine kleine Schachtel Pralinen als „Nervennahrung“ bis hin zu einer Einladung zu einer virtuellen Veranstaltung, ist hier vieles denkbar und auch kostengünstig machbar.

Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass die Beziehungspflege ein ernsthaftes Interesse an seinen Mitmenschen voraussetzt und niemals der nächste Deal die Motivation für die Kontaktpflege sein sollte.

Wie lässt sich Wertschätzung und Rücksichtnahme zu unserem Gegenüber in virtueller Form realisieren?

Wertschätzung zeichnet sich durch Zuvorkommenheit, durch ein Entgegenkommen und durch ungeteilte Aufmerksamkeit aus. Wir bereiten uns folglich gut auf unsere Videokonferenzen vor, versuchen uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen und lassen jeden aussprechen.

Rücksichtsvoll benimmt sich jeder, der seine Mitmenschen nicht zwangsinvolviert. Dies bedeutet, die anderen nicht mit Nebengeräuschen zu stören, niemanden mit seiner schlechten Laune zu konfrontieren und sich eben nicht ablenken zu lassen. All das lenkt vom Wesentlichen ab und stört den Gedanken- und Gesprächsfluss. Letztlich will jeder Mensch gesehen, gehört und verstanden werden. Dazu bezieht man alle Gesprächspartner namentlich mit ein, spricht zwischendurch ein Lob aus und beherzigt die getroffenen Absprachen.

Was meinen Sie Herr Hoyos, was würde Knigge in der heutigen Zeit den Menschen empfehlen?

Knigge hat seinerzeit geschrieben: Fühle, denke, dulde, schweige, lächle! Was bedeutet das für unsere heutige Zeit? Ich bin überzeugt, dass Knigge heute den Menschen empfehlen würde: Entwickle ein hohes Maß an Resilienz, nimm dein Schicksal an und mach das Beste daraus.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Clemens Graf von Hoyos ist der Vorstandsvorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft e.V. und Fachautor beim Standardwerk „Der große Knigge“. Der zertifizierte Trainer für Business-Etikette (IHK) hält seit 2009 Vorträge und Seminare zu zeitgemäßen Umgangsformen. Mit Anfang 20 konnte Clemens Graf von Hoyos mit seiner Expertise das erste DAX-Unternehmen von seinen Dienstleistungen überzeugen. Inzwischen zählen internationale Unternehmen unterschiedlichster Branchen, Agenturen, Stiftungen und Universitäten sowie Personen des öffentlichen Lebens zu seinen Kunden.

Die Deutsche-Knigge-Gesellschaft e.V. ist eine ehrenamtliche Vereinigung von zertifizierten Trainern für Business-Etikette (IHK) und sachverständigen Experten. Der Verein gibt regelmäßig zeitgemäße Empfehlungen zu den Ideen des Adolph Freiherr Knigge (1752 – 1796) heraus.


Bilder: Shutterstock, Clemens Graf von Hoyos

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